Freitag, 6. Oktober 2017

Geduld

 

Rainer Maria Rilke

 Man muss den Dingen
die eigene, stille
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen – und
dann gebären...

Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit
vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit...
Man muss Geduld haben
Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.





Anmerkung:
Diese Zeilen stammen aus einem Brief von Rainer Maria Rilke "an einen jungen Dichter" (Franz Xaver Kappus), in dem sie eingestreut sind. Wer die hier vorliegende Fassung formuliert hat, ist unbekannt. Der Titel "Über die Geduld" stammt jedenfalls nicht von Rilke selbst! Zum Brief: www.rilke.de/briefe/230403.htm
Abgerufen: 06.10.2017 bei:
 http://www.dr-mueck.de/HM_Denkhilfen/Rainer-Maria-Rilke-Geduld.htm



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Ägidius von Assisi


Wenn der Baum geboren wird, 

blüht er nicht sofort. 
Wenn er blüht, 

bringt er nicht sofort Früchte hervor. 
          Wenn er Früchte hervorbringt, 
sind sie nicht sofort reif. 
            Wenn sie reif sind, 
werden sie nicht sofort gegessen.


Ägidius von Assisi († 1262)
war einer der Gefährten von Franz von Assisi. 

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