Sonntag, 10. Juli 2016

Tunesische Reminszenzen (aktualisiert)




ZWEI BOTEN GOTTES
BEGLEITEN DEN MENSCHEN
SCHÜTZEND DURCH SEIN LEBEN.
UM DIE ENGEL NICHT ZU ERZÜRNEN
MURMELT DER MUSLIM –
WENN ER SICH VERSCHREIBT,
VERSPRICHT ODER
WASSER VERSCHÜTTET
 – „DESTUR“ – „VERZEIH“.



Amphitheater El Djem (Wikipedia)
El Djem,  römisches Amphitheater

Wenn sie die Raubtiere losließen
tobte die Menge.
Wenn die Gladiatoren kamen,
taumelten die Ränge,
raste das Volk.
Blutrünstiges Spektakel
organisiert
von der römischen Administration
als Schmieröl
im imperialen Regierungsgetriebe.
Arena und Festung gleichzeitig.


Immer wieder
packten Eroberer Nordafrika
in ihren eisernen Griff.
Heut‘ schweigen die Steine.
Nur manchmal noch
in der flirrenden Mittagshitze
kommt Stöhnen aus verwitterten Sandstein.


Moschee in Zarzis (Djerba)
Gabés oder der Barbier des Propheten

Ein Großer ist nichts
Ohne die Mitarbeiter –
Handanleger, Vordenker,
Prüfer, Realisierer.
Ich seh‘ ihn vor mir:
Ein wenig gebeugt vom Alter
blickt er auf die Schärfe des Messers.
Mit vorsichtigen Fingern
streift er den Rest des Prophetenhaars
von der Klinge.
Jahrelang hat er’s getan,
Barbier in all den Tagen
geprägt von Hoffnung, Verzweiflung
und Glaubensermutigung.
Seine Hand zittert leise.
Landeinwärts sieht er die Wüste.
Von der See
umfächelt kühlender Wind
den grau Gewordenen.
Gottes Macht lässt sich nicht aufhalten;
er hat es miterlebt,
sah jede Spannung und Sorge
im Gesicht des Propheten.
Mohammed
- der Friede Gottes auf ihm –
wurde emporgehoben zu Gott
wie einst schon Isa, Jesus –
Gottes ewiges Wort.

Der Barbier lächelt leise.
Er ruht aus
in der afrikanischen Palmenoase.
Bald wird er tiefer ruh’n
bis zur Auferweckung am Jüngsten Tage.
Vielleicht denken Spätere einmal
beim Besuch der Palmenoase Gabes,
dass Gott viele Arbeiter
in die Ernte sendet.
Und letztlich gilt bei ihm
ebenso
Barbier wie Prophet.


Schott el Djerid

Erst schwinden die Palmen,
dann Tamarisken,
schließlich auch salzharte Grasbüschel.
Das Leben endet,
der Große Schott el Djerid
ist nur Totes Meer.
Unter der sandbraunen Salzschicht
Finden sich die Kristalle zusammen –
dann nur noch Salzwasser
im Dunststrahl der Sonne.
Wer dem schmalen Damm
durch das große Salz treu bleibt
taucht aus der Todeszone
in die Oasenquellen des Lebens.
Sie sprudeln für Tausende,
während der Große Schott
in den Nachthorizont sinkt.

Sbeitla und Sufetula -
Byzantinische Kirchenruinen

Als sie zu Ehren
Von Juno, Minerva und Jupiter,
der göttlichen Dreiheit,
auf dem Forum die Ehre gaben,
ahnten sie nicht,
dass ihre Urenkel
den einen Gott in dreien
anbeten würden.
Sie ahnten auch nicht,
dass die anmutigen Wasser im Flusstale,
in den Taufbecken der Märtyrerkirchen
das Geschenk göttlichen Lebens
bezeugen würden –
Erwachsene Frauen und Männer,
neugeboren in göttliches Leben getaucht.

Doch nach den Götter verehrenden Römern
mussten auch christliche Byzantiner weichen.
Heute stehen die Taufbecken leer
in verfallenen Kirchen.
Und auf dem Grund der Taufmosaiken
sammeln sich nur noch Wasser
seltener Regengüsse.
Dennoch: Der Regen gibt Auskunft:
Wenn die Wolken verschwinden,
spiegelt sich in den alten Taufbecken
– der Himmel.


Kairouan I: Die vierte „heilige“ Stadt des Islam

Weit kamen
des Propheten Gefährten,
aufzuhalten der Glaube nicht –
Überzeugungswucht im Vertrauen auf Gott.
Jerusalem, Medina, Mekka
galten schon der Verehrung würdig.
Nun an strategisch entscheidender Stelle
zwischen Nil und Atlasgebirge
setzten die Gefährten ein Zeichen.
In den Araberstürmen
gab es mancherlei Zeichen,
viele getränkt mit unschuldigem Blut,
doch dieses blieb wahrhaftig
bis heute:
Gedrungenes Minarett,
Zeitzeichen der Anbetung.
Fünfmal am Tage schallt’s in den Hof,
dessen Bögen das Licht des Tages brechen.
Vom ersten Morgenstrahl bis zur Senke der Nacht –
Zeitzeichen der Wahrheit
für die herbeieilenden Gläubigen.


Kairouan II: Die Quelle im Moscheehof
– Quelle von Gottes Wahrheit –

Nicht umsonst sagt man darum,
dass eine Verbindung bestünde
von Kairouans heiligem Brunnen
bis zum Zamzam im Schatten
mekkanischer Minarette.
Zeitzeichen und Quelle –
Viermal nun unübersehbar:
Jerusalem,
Mekka,
Medina,
Kairouan.
Jerusalems Zion
verbindet sie
mit den Glaubenssätzen der Christenheit
und den Resten von Salomos Tempel.
Darum tut es wohl,
von den Minaretten zu hören:
Gott ist Einer!
Welch tiefes Geheimnis Gott immer auch sei:
Allahu akbar – Größer ist Gott!
 
Karthago

Die Ränge sind leer,
die Redner verschwunden.
Rhetorik lehrt man heute
an anderen Orten.
Augustin schon tauscht
das Amphitheater Karthagos 
mit dem christlichen Mailand,
ehe er – ein Neuer nach Afrika heimkehrte.

Vieles versank im Schutt der Eroberer
neue Herren errichteten Neues,
auch eine Kirche
auf dem Hügel von Byrsa
als Zeichen christlicher Macht.
Schließlich starb hier ein König
während des Raubzuges,
der unter dem Zeichen des Kreuzes
stattfand  ( = Ludwig IV. von Frankreich).

Heute holt man hervor unter dem Schutt
die Aschenreste verirrten Glaubens;
denn wo Menschen brennen,
findet sich nicht der erbarmende Gott,
sondern da toben Erynnien.
Die Asche ist kalt.
Vom Opferkult blieben
- Gott sei Dank –
nur gezeichnete Steine.

 Dougga, Sidi Abou Saïd – Tunis

MAURISCHE HEITERKEIT
SPIEGELT IN BLÄUENDEN FENSTERGITTERN
DIE HELLE DES HIMMELS
                                                                       Malendes Dreigestirn –
         Klee – Macke – Moillet –
A. Macke: Kairouan (Wikipedia)
   Sie tupften die Weiße der Häuserquadern
   und die winkligen Gassen
   aus der Palette ins erinnernde Bild.
   Bild und ge-Bildete Wirklichkeit.
   Die eigenen Tunisreise wird Imagination
   und gleichzeitig Nachvollzug.
   Wirklichkeit und Himmelstraum
   verschmelzen in die lebendige Erfahrung
   einer geöffneten Seele.

Hof der Großen Moschee in Kairouan

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